Wie so Vielen hat das Jahr 2020 auch uns einige Streiche gespielt. Statt eine bunte und wilde Party am 1. Mai gemeinsam mit euch zu feiern und den Sommer mit Theater und Musik zusammen mit all unseren Freund*innen und Genoss*innen und dem Kollektiv Wildwux zu unterlegen, haben auch wir uns in physischer Distanzierung erproben müssen.
Doch damit nicht genug. Die Bedrohungswolke, die seit über 5 Jahren über unserem Zuhause und dem so vieler Pflanzen und Tiere wie Kleibern, Fledermäusen, Siebenschläfern und Bienen hängt, wird von der Stadt immer tiefer auf uns niedergedrückt. Unser Stresslevel ist dadurch gestiegen, unsere Stimmung teils auf Tiefstand gesunken.
Anfang 2020 hatten wir ein Treffen mit der Stadtverwaltung, bei dem uns erzählt wurde, es gebe noch keine Entscheidung seitens der Politik über die Zukunft der WabOS und darüber, wie und ob überhaupt Am Hirtenhaus gebaut werden solle. Es wurden vom Stadtbaurat Frank Otte und einer stadtplanerischen Führungsperson, Herrn Schürings, unterschiedliche Szenarien vorgestellt, die sie „beplanen“ würden und dem Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt (StUA) und damit dem Stadtrat zur Entscheidung vorzulegen beabsichtigten. Ein Verbleib der WabOS Am Hirtenhaus und somit der Schutz wenigstens eines kleinen Teils des Finkenhügels war zu dem Zeitpunkt noch genauso möglich wie ein Umzug an einen nicht bekannten Ort. Einzig die Tatsache, dass Herr Otte eine „Legalisierung“ des Bauwagenlebens als Bedingung sieht, wurde klipp und klar formuliert. Wie genau so eine „Legalisierung“ aussehen soll, wussten die Herren Stadtplaner allerdings auch nicht. 5 Jahre und all die Vorlagen aus anderen Städten, die wir ihnen zugespielt haben, sind offenbar nicht genug, sich vorzubereiten. Die bisher einzige Idee der Stadt besteht darin, den Platz als Bauland auszuweisen, das heißt, auch zu erschließen, und obendrein Baugenehmigungen für jeden einzelnen Wagen mit jeweils dauerhaft festem Stellplatz und dafür dann 5 bis 30 Mal so viel Pacht zu verlangen wie bisher. Das bedeutet de facto, dass so eine „Legalisierung à la selbsternannte Friedensstadt“ ganz schnell zu einer Vertreibung durch die Hintertür wird. Den Naturschutzpreis 2016 haben wir sicherlich nicht für eine Besessenheit mit Normen oder für das Innehaben finanzieller Reichtümer erhalten.
Spannend fanden wir die Aussagen aus der Stadtplanung vor allem deshalb, weil verschiedene Ratsvertreter*innen, insbesondere der SPD und der Grünen (CDU und der Brei noch weiter rechts davon müssen wohl nicht extra erwähnt werden), uns doch schon verdeutlicht hatten, dass sie kein Interesse an einem Verbleib unseres Zuhauses haben. Dass Ottes Parteifreund*innen ihn darüber im Dunkeln haben stehen lassen, erscheint doch eher unglaubwürdig. Oder es ist schlichtweg Mobbing. Wir kennen das schon, schließlich werden auch wir immer wieder wie Menschen letzter Klasse behandelt.
SPD und Grüne waren im Bündnis für bezahlbaren Wohnraum, an dem auch wir uns aktiv beteiligt haben. Aus der geforderten kommunalen Wohnungsgesellschaft wurde von der regierenden Parteienlandschaft inzwischen eine „WiO“-Tochter der Stadtwerke gemacht. Mitsprache durch diejenigen, die sich im Bündnis aktiv für bezahlbaren Wohnraum stark gemacht hatten, wurde keine gewährt. Die Wohnungen, die ausschließlich in Form von Neubauten (sic!) aus dem Boden gestampft werden sollen, sind zu wenige und der Großteil immer noch viel zu teuer. Ihre Bewohner*innen werden weiterhin so gut wie nichts zu sagen haben.
Es gab im Bündnis mehrere vereinbarte Punkte, die von allen Beteiligten eingehalten werden sollten. Einer davon ist, dass eine kommunale Wohnungsgesellschaft auf gar keinen Fall bestehende Projekte gefährden darf. Wir haben zum jetzigen Zeitpunkt für SPD und Grüne keine anderen Worte übrig als: Verräter.
Die SPD erdreistet sich, als „Argument“ zu unserer Vertreibung hervorzubringen, genau Am Hirtenhaus 5 und 9 (wir plus das angrenzende Grundstück mit der Ruine, die nach Vertreibung unserer Nachbar*innen durch die Stadt vor vielen Jahren blieb) müssten Wohnungen für Pflegepersonal entstehen. [Originalzitat vom SPD-Anwärter für das Oberbürgermeisteramt: „Wenn die kommunale Wohnungsgesellschaft kommt, und sie wird kommen, dann kommt sie genau dorthin, auf die WabOS.“] Was die SPD dabei nicht sagt, ist, dass wir es waren, die schon vor 5 Jahren gefordert haben, dass wenn im Bereich des Finkenhügels wirklich unbedingt gebaut werden muss, dass dann unter Verbleib der WabOS in der Gegend ausschließlich günstiger (darunter hoffentlich auch der ein oder andere gemeinschaftliche) Wohnraum z. B. für Pflege- und Reinigungspersonal des Klinikums und der Forschungs- und Bildungseinrichtungen in der Nähe entstehen darf. [siehe dazu unser Konzept für die B-Pläne 616/617] Und wir sind weiterhin der festen Ãœberzeugung, dass die WabOS mit dem kleinen Naturraum entlang Am Hirtenhaus auch genau dortzwischen wunderbar fortbestehen kann. Die SPD ist nichts als völlig argumentationslos.
Die Grünen haben es in 5 1/2 Jahren nicht geschafft, sich für den Verbleib unserer Wagenburg Am Hirtenhaus stark zu machen. Sie mauscheln etwas von „parteiinterner Uneinigkeit“. Was daran „grün“ sein soll, eine Auto- und LKW-Verkehr fördernde Westumgehung durch die Hintertür mit Plänen zur Massen-Versiegelung durch Wohnbebauung bis an die Forst-Grenze eines Naherholungsgebietes zuzulassen, bleibt völlig schleierhaft. Das ist braun-grau. Die Zerstörung von Diversität und die Vertreibung von Menschen? Braun.
Ein gutes halbes Jahr nach dem Verwaltungsintermezzo wollten wir mit der Stadt mögliche neue Entwicklungen besprechen. Wir warten schließlich (wie die gesamte Öffentlichkeit) weiterhin auf die der Stadt seit nunmehr 4 Jahren vorliegenden Fachgutachten und Ergebnisse der frühzeitigen Bürgibeteiligung zu den B-Plänen 616/617, die uns und den gesamten Finkenhügel betreffen. (…wir warten noch immer. Inzwischen kommt die Geheimhaltung der Ergebnisse der eines staatlichen Atomprogramms nahe.)
Lange bekamen wir keinerlei Antwort auf unser erneutes Dialogersuchen, bis es endlich so weit war und wir ausgerechnet im November, sprich während eines erneuten und doch vorher klar absehbaren Höhepunktes der Corona-Pandemie, zu einem Treffen eingeladen wurden – oder besser gesagt: einer digitalen Videokonferenz. Wie wir zu zehnt, ohne festen Internetanschluss und noch dazu via kommerzielle Software daran teilnehmen sollten, blieb ein Mysterium. Und aus einem Treffen, bei dem wir endlich hätten Fragen stellen können und vielleicht ein paar mehr Antworten bekommen hätten, Möglichkeiten für Verhandlungen ausloten wollten, wurde ein simpler Brief der Stadt, gezeichnet vom Stadtbaurat Otte. In jenem war zu lesen, dass von einer Kündigung unseres Pachtvertrages in Kürze auszugehen sei und wir eine „Alternativfläche“ in der Gartlage – sprich, weit weg von unserem seit 23 Jahren bestehenden Zuhause und im Ãœbrigen just am Grüne-Finger-Skandal-Bezirk – angeboten bekommen könnten. In dem Brief findet sich kein Wort zu Bedingungen und Höhe der Pacht oder ähnlichem. Lediglich wird darauf hingewiesen, es sei dort „schön und naturnah“ (in Anbetracht des Grüne-Finger-Skandals fragt sich, wie lange noch) und Versorgungszentren seien auch um die Ecke.
Ja, wunderbar! Da ist dann ja Platz für den seit Jahrzehnten immer wieder geforderten dritten Wagenplatz in der Stadt!
Wir sind sicher nicht die Einzigen, die inzwischen fragen: Versuchen die Oberhäupter der Stadt die Zeit der Pandemie noch schnell zu nutzen, um sämtliche Bebauungspläne, egal ob im Westen oder Osten der Stadt, noch vor der Kommunalwahl im September 2021 durchzudrücken? Denn wann ist es schon mal so leicht, ohne mögliche große öffentliche Gegenwehr und hinter verschlossenen Türen die Fäden nach den eigenen Karrierevorstellungen zu ziehen?
Beim letzten Bürgiforum Westerberg-Weststadt Anfang Dezember 2020, das, wie an anderer Stelle auch, ganz undemokratisch, dafür umso barrierereicher, digital umgesetzt wurde, offenbarte Herr Bielefeld als Vertreter aus der Stadtplanung und -verwaltung, dass doch ohnehin seit über 5 Jahren feststehe, dass wir „da weg müssen.“ Einen Ratsbeschluss dazu gab es nicht. Schön, dass die Exekutive jetzt auch die Legislative ist! …wohl ein Grund, warum die Aussage nicht im Protokoll des Forums steht.
Noch dazu behauptete er, die Kündigung unseres Pachtvertrages habe nichts mit den Bebauungsplänen am Finkenhügel zu tun. – Anscheinend hat er bei keinem der durchweg von uns initiierten Treffen der letzten Jahre aufgepasst und offenbar auch irgendwie die gesamten letzten 5 Jahre geschlafen. Anders sind solche Äußerungen kaum erklärbar.
Andererseits passt die Aussage vom Treffen Anfang 2020, der Bebauungsplan betreffend Am Hirtenhaus müsse politisch noch entschieden werden und die Stadtverwaltung wisse ja auch nicht, was am Ende dabei herauskommt, hervorragend in das Bild einer Stadt, in der Konflikte durch Ausweichen verschwiegen und Fragen der Stadtentwicklung im Hinterzimmer und maximal unter Behauptung des Stattfindens von „Dialog“ oder unter „Scheindialog“ ausgemauschelt werden. (Hinweis an die Stadt: „Dialog = von zwei oder mehreren Personen abwechselnd geführte Rede und Gegenrede,“ siehe duden.de. …aber es ist ja auch eine Kunst.) Der SPD-Oberbürgermeisteramtsanwärter findet ja auch, ein Nazi dürfe das Herz des Stadtzentrums bebauen, denn er sei schließlich kein Nazi, da ein weißer hetero-cis-Mann mit deutschem Pass gut mit ihm Kaffee trinken kann…
Wir spüren Tag für Tag die Bagger von der Straßenbaustelle Rheiner Landstraße und der Straße Am Finkenhügel näher rücken.
2020 war für uns geprägt durch ein Schwanken zwischen „Hauptsache, es geht überhaupt irgendwo irgendwie für uns weiter“, einem möglichen Wegzug Einzelner so weit weg wie möglich aus dieser Stadt, in der Menschen wie Abschaum behandelt werden, und einer verzweifelten Suche nach Perspektiven. Aber 2020 ist vorüber. Und uns -wie wohl Vielen von euch- stehen die Politnix in puncto Bauen und Verkehr mit ihrer dreisten VerPLANtheit bis zur Maske!